Wie kommt man überhaupt auf die Idee, zu solchen vorgelagerten Felsen, in Irland „Stags“ genannt, rauspaddeln zu wollen?
In meinem Fall kam das so:
2019 waren wir schonmal hier, auf Empfehlung des Rother wanderten wir die North Mayo Cliffs entlang und erspähten die Stags of Broadhaven. Und wir sahen weiterhin dass 2016 jemand dort auf dem höchsten Stag einen Geocache platziert hatte. Nachzulesen ist das hier.
Als Ute dieses Jahr nach Irland wollte war klar, nochmal stehen wir nicht ohne Boot da. Und so kam es, dass wir hier gestern mit Boot und unpassendem Wind blöd dastanden.
Wir nutzten die Zeit um mit den Betreuern vom Ferienlager über die Gewässer hier zu sprechen. Die Empfehlung war die Bucht nicht zu verlassen, schon gar nicht bei ablandigem Wind. Die Jungs hatten sich auch noch nicht weiter rausgewagt.
Die Sicht vom Aussichtspunkt auf die Stags und die bisherigen Erfahrungen mit dem offenen Atlantik führten bei Ute zu einer unruhigen Nacht in der sie sich schonmal mit sämtlichen realen wie irrealen Katastrophen vertraut machte.
Ich schaute mir die Windprognosen für heute an. Morgens früh schwacher Wind, aber ablandig und dann gegen 17 Uhr abschwächender Wind und gegen 19 Uhr sogar eine Drehung auf anlandigen Wind.
So ganz sicher bin ich mir nicht dass es wirklich möglich und eine gute Idee ist da rauszupaddeln. 7km Round Trip und gute 2 km über den Atlantik bis man die Stags of Broadhaven erreicht, und dann muss man ja noch anlanden, raufklettern und das ganze zurück.
Es ist also an der Zeit, meine eigene Medizin zu nehmen. Wenn man sich was nicht traut, kann das daran liegen dass es wirklich eine schlechte Idee ist, oder daran dass man noch nicht die Erfahrung hat um ein Unterfangen fundiert einschätzen zu können. In den allermeisten Fällen ist es letzteres. Es gilt langsam in kleinen Schritten Erfahrungen zu sammeln, die dann eine Basis legen auf der man eine gute Entscheidung treffen kann.
In den meisten Fällen ist es Ute, die ich mit diesen kleinen Schritten auf unsere Touren vorbereite, jetzt muss ich mich selbst und Ute soweit bringen heute Abend in Richtung Stags in See zu stechen.
Meine Erkältung entwickelt sich zu einer unangenehmen aber nicht einschränkenden Variante, und so schöpfe ich Hoffnung das Unterfangen wenigstens voranzubringen. Nach dem Morgenkaffee mache ich das Boot klar.
Ute eröffnet mir das Ergebnis ihrer Nachtschicht: Auf keinen Fall paddelt sie weiter raus als bis zum Pier, ab da kann ich alleine weiterfahren.
Damit fangen wir mal an. Erstmal einsteigen und ab geht die Paddelei. Nach 100m erreichen wir den Pier, aber Ute ändert den Plan. Wir können noch etwas weiter fahren, nur keinesfalls aus der Bucht raus.

Also gut, wir paddeln weiter. Als links eine Felsnase ins Wasser ragt ist für Ute das Ende der Bucht erreicht, wir können aber jetzt mal auf die andere Seite queren und dann aber zurück.

So wird es gemacht. Auch hier zeigt sich dass 1,3km hin und 1,3km zurück an Streckenlänge kein Problem sind. Ich setzte Ute am Pier ab, baue das Boot auf Einsitzer um und steche erneut in See.
Erste Erfahrung: auch bei ablandigem Wind kommt man zumindest in der Bucht gut gegen den Wind zurück.
Zweite Erfahrung: Alleine habe ich weniger Tiefgang und bin entsprechend windanfälliger.
Ich paddele wieder vor zum Ende der Bucht und taste mich langsam am Ufer entlang vor. Die Wellen werden etwas höher, aber der Wind nimmt ab, da der Uferfels hier Windschatten gibt. Erfahrung 3.
Ich taste mich weiter vor. Die Stags draußen und ein Felsen vor der Küste kommen in Sicht. Sieht auf den ersten Blick machbar aus, denke ich mir. Man hat ein Ziel zum ansteuern und muss nicht ohne Ziel auf das offene Meer rauspaddeln. Erfahrung 4 ist eingesammelt.

Für die erste Erkundung reicht mir das. Noch schnell ein Selfie vor den imposanten Klippen und retour.

Erfahrung 5 lautet: Zurück in die Bucht ist völlig problemlos. Keine Strömungen oder sonstiges Ungemach. Ich entdecke eine Höhle in den Klippen und paddele rein.


Auf dem Weg zurück zum Pier stelle ich fest, dass es gegen den inzwischen aufgefrischten Wind auch in der Bucht Arbeit bedeutet zurückzukommen, aber auf einem Level den ich länger durchhalten würde.
Begeistert erzähle ich Ute von der Höhle und dem Bereich knapp außerhalb der Bucht. Ganz so begeistert scheint sie nicht, lässt sich aber drauf ein sich die Höhle zeigen zu lassen.
Zuerst aber essen wir was zu Mittag. Leere Mägen paddeln nicht gerne. Wir haben gerade das Müsli zusammengerührt, da fährt jemand mit einem Motorboot im Schlepp an uns vorbei vor zum Pier. Ute wittert eine Chance aus der Paddelnummer rauszukommen, lässt das Müsli stehen und flitzt hinterher.
Die Locals wollen zum Fischen rausfahren, ich frage mal vorsichtig wie dämlich die Idee ist zu den Stags rauszupaddeln. Der Kumpel der Fischer gibt Preis dass er auf keinen Fall da rauspaddeln würde und empfiehlt zu Fuß vor ans Ende der Bucht zu laufen und sich das von da anzuschauen.
Die Fischer raten wegen des ablandigen Windes davon ab. An der Küste lang sähen sie öfter mal Paddler, aber nie raus zu den Stags und nur bei anlandigem Wind. Sie selbst fahren nie soweit raus. Mitnehmen würde daher auch nicht gehen. Später entschuldigt die Frau des einen die Absage und erläutert dass das eher versicherungstechnische Gründe hatte. Wir widmen uns wieder unserem Müsli.
Das Windmaximum heute ist für 14 Uhr angesagt, danach soll es langsam ruhiger werden, wir warten noch etwas ab und starten gegen halb drei in Richtung Ende der Bucht und Höhle.
Je weiter wir dem Ende der Bucht kommen, desto nervöser wird Ute. Als die Felsnase in Sicht kommt, aber die versprochene Höhle nicht, reicht es Ute. Wir drehen um. Nach ca. 50 Metern starte ich nochmal einen Versuch. Wir müssten nur an der Nase vorbei, da ist die Höhle und die Bucht ist da noch nicht zu Ende, und sowieso ist da Windschatten.
Also gut, neuer Versuch. Wir wenden und steuern die Felsnase an. Passieren sie, während Ute aufpasst dass wir nicht zu nah an die Felsnase kommen. Da brandet die Brandung nämlich gar grässlich, und Ute hat heute Nacht schon gesehen das man da übel aufgerieben wird wenn man zu nah drankommt.
Die Höhle kommt in Sicht, ich steuere darauf zu, aber Ute erkennt die nächste Gefahr. Rechts ist es sehr flach. Ich bestätige das das heute Morgen auch so war, und man links gut dran vorbeikommt. So machen wir das dann. Und schwups sind wir in der Höhle. Es gluckert und gluckst, und Ute will da sofort wieder raus, zumal es nicht nur gluckert und gluckst sondern auch noch dunkel ist und nicht gut riecht.


Ich versuche mein Glück nochmal und schlage eine Tour aus der Bucht raus an der Küste entlang vor, und kassiere direkt eine Absage. Die Höhle war schon nix, und aus der Bucht raus bringen sie keine 10 Seepferde. Inzwischen bin ich leidlich gut darin zu erkennen wann es sich lohnen könnte weiter zu bohren und gebe auf. Wir paddeln zurück.
Ich studiere nochmal die Windvorhersage und schmiede einen Plan. Wenn das klappen könnte, dann Start um 17:00. Hin mit abschwächendem Gegenwind und zurück hoffentlich mit Windstille oder sogar Rückenwind.
Trotz mehrfacher Überzeugungsversuche steche ich um 17:00 alleine in See. Ausgestattet mit Actionkommunikator Milo, WhatsApp Standortfreigabe und Fernglas begibt sich Ute zum Ausgucksposten aus dem 2. Weltkrieg um meine Fahrt zu verfolgen und Notfalls die Rettung zu alarmieren. Während Ute auf den Berg läuft, paddele ich los und komme gut voran. Nach 10 Minuten bin ich die 1,3 km aus der Bucht gepaddelt und nehme die guten 2 km in Richtung Stags in Angriff.
Die Kommunikation mit Ute klappt über den Actionkommunikator prima. Die Wellen werden höher, aber viel länger. Ich schaukele sanft auf und ab und sehe Papageiengaucher aus der Nähe. Guter Dinge paddele ich weiter.
Ute sieht mich anfangs gut vorankommen, dann aber stark nach rechts abdriften. Sie fragt sich besorgt wie ich so die Strecke schaffen soll.
Das Milo knackt und ich erhalte die Info dass ich nach rechts abdrifte. Ich hatte eher das Gefühl ich drifte nach links😮
Ich realisiere dass es eine gute Idee wäre, gelegentlich rückwärts zu schauen. Bisher hatte ich das Ziel fest im Blick um Kurs zu halten, aber irgendwann muss ich ja auch zurück und da wäre es doch prima wenn man sich einprägt wo man herkam.
Nun erkenne auch ich dass ich nach rechts abdrifte und korrigiere den Kurs. Außerdem präge ich mir ein wo ich herkomme und wo ich nachher zurück muss. Die Bucht und der Aussichtspunkt sind gut zu erkennen.
Nach 600m ist die Reichweite des Milo erreicht und ich erhalte die Meldung dass die Verbindung abgerissen ist. Von nun an bin ich auf mich gestellt, ohne Ute‘s Stimme im Ohr alleine auf dem Atlantik. 600m geschafft, noch 1,4 km zu paddeln.
Für Ute bietet sich dieser Anblick.

Es werden fast 3km durch die Drift nach rechts und die Strecke wird immer zäher. Aber die Stags kommen näher. Die Wellen werden höher, sind aber weiterhin so lang, dass ich nur sanft auf und ab schaukele. Die Sicht nach vorne wird aber ab und an deutlich durch die Wellenberge begrenzt und ich fürchte das das für Ute so aussieht als würde ich ab und an verschwinden.
Derartige Gedanken sind der Ereichung des Ziels selbstverständlich nicht zuträglich, müssen also in Schach gehalten werden. Ich konzentriere mich auf das was ich beeinflussen kann und beurteile die Lage so gut es geht objektiv. Ich komme zum Schluss dass ich weiterpaddeln kann und tue das.
Je näher ich den Stags komme, umso mehr Papageientaucher sehe ich, und umso höher werden die Wellen. Ich meine sogar einen Schweinswal ein paar Meter voraus Blasen zu sehen. Ich freue mich über die Gesellschaft und denke lieber nicht darüber nach was sich unter mir alles tummeln mag. Man nennt das mentale Hygiene. Ein aktiver Prozess der Gedanken nach zuträglich oder unzuträglich sortiert und entsprechend priorisiert. Ich kenne das vom klettern und hier hilft es auch. Ich erreiche die Stags nach insgesamt 47 Minuten an der windabgewandten Seite.

Mein Ziel ist der zweite Stag links. Ich paddele am ersten rechts vorbei und schaue mir den Kanal dazwischen an. Ich las zwar dass die schmalen Passagen die Wellen des Atlantik verstärken, denke aber das das hier breit genug sein sollte und paddele in den Kanal. Nach 7 Minuten bin ich durch und sehe was auf der Luvseite abgeht. Die Wellen prallen hier auf die Stags und interferieren mit den zurückgeworfenen Wellen. Es sieht stellenweise recht wild aus.
Unterdessen stellt Ute fest dass der Wind wie vorhergesagt komplett still geworden ist. Das hat zur Folge dass Mitches auftreten, die es offenbar von Schottland herübergeschafft haben. Bisher hielten wir Irland für Mitchfrei. Sie hat gesehen dass ich an den Stags angekommen bin und beschließt sich am Bus mit Insektenmitteln zu versorgen, da sie davon ausgeht dass ich eine Weile beschäftigt sein werde anzulanden und den Cache zu suchen.
Bei der Vorbereitung sah es auf den Satellitenbildern so aus, als gäbe es auf der linken Seite eine Bucht, da wollte ich anlanden. Jetzt sehe ich dass die Bucht ein Felsbogen ist, und man da nicht anlanden kann.

Ich müsste jetzt zurück durch den Kanal oder links am Bogen nachschauen. Die Brandung ist wild und ich tanze auf und ab. Ute hatte mir ja bildlich erklärt was passiert wenn man dem zu nah kommt, und nehme Abstand. Kurz fürchte ich dass ich gegen die gerade besonders hohe Welle nicht ankomme, schaffe es aber mühelos in sichere Distanz.
Jetzt bräuchte ich jemanden an Bord der mir gut zuredet oder dem ich gut zureden muss. Beides hilft in solchen Fällen Motivation zusammenzukratzen aber ich bin alleine.
Ute hat sich inzwischen mit Autan imprägniert und mein Mückenschutzhemd eingepackt und flitzt wieder in Richtung Ausguck. Die Aussicht auf weitere 45 Minuten zuschauen wie der gelbe Punkt auf dem Meer größer wird, oder schlimmer noch, ich gar nicht zu sehen bin schlägt ihr auf den Magen.
Ich treffe die Entscheidung es für heute gut sein zu lassen. Ich habe mich soweit vorgetastet wie ich mir zutraue und mir die Machbarkeit eines weiteren Schritts der Aufgabe bewiesen. Mit einem 2. Abenteurer an Bord geht das sicher gut, aber alleine ist mir das heute zu heiß, der Schritt jetzt anzulanden zu groß.
Erleichtert über diese Entscheidung setze ich Kurs auf‘s Festland, freue mich in ca. 600m Entfernung von der Küste wieder Ute‘s Stimme zu hören und paddle los.


Die Stags im Rücken werden kleiner, und ich komme gut voran in Richtung Küste. Der Wind ist komplett weg und ich komme mit der Flut als Helfer schnell voran.

Ich wundere mich noch nichts von Ute zu hören, und mache mir Sorgen. Aktiv schalte ich das ab, denn es hilft grad nicht weiter, und ich könnte sowieso nicht helfen wenn etwas wäre. Ich konzentriere mich auf die Papageientaucher. 4 schwimmen vor mir. Als ich näher komme taucht der erste ab, dann der zweite. Der dritte flattert davon und der 4. entscheidet sich wieder für‘s Tauchen.

Nach 30 Minuten habe ich die Bucht und damit die Sicherheit der Küste erreicht.

Ute eilt den Berg hinauf und fragt sich was sie wohl erblicken wird, wenn sie Oben ist. Bin ich schon zu sehen, wie lange werde ich brauchen und werde ich abgetrieben? Wie lange muss sie das winzige gelbe Fleckchen im Fernglas anstarren um zu sehen ob ich noch paddele oder nicht? Sie hofft sehr dass ich zu sehen sein werde. Die Aussicht da oben zu warten und nichts zu sehen verknotet den Magen.
Der Milo erlöst uns beide von der Ungewissheit und Ute ist sehr froh zu hören dass ich unerwartet schon in der sicheren Bucht bin und kann es kaum glauben.
10 Minuten später lege ich an. Es gibt viel zu erzählen, und wir bringen uns gegenseitig auf den aktuellen Stand und tauschen aus, wie es uns ergangen ist.
Boot an Land und zum Bus tragen, nasse Sachen aufhängen und dann gibt’s endlich Abendessen und ein Anstoßen auf den offenen Atlantik.
Während ich das erlebte noch zusammenschreibe lässt Ute die Anspannung abfallen und begibt sich in‘s Land der Träume, wohin ich sogleich folgen werde.

Ein letzter Blick durch die Bucht hinaus auf den Atlantik, nicht alles können wir auf dieser Tour abschließen, aber wir haben große Schritte getan um uns in eine gute Position beim nächsten Mal zu bringen.
Es ist ein unfassbares Glück jemanden zu haben, der einen sowas machen lässt ❤️