Wachstumszone
Zum Frühstück scheint die Sonne, und wir packen den Campingtisch und Stühle aus. Erstes Frühstück im Freien: Herrlich.
So ein Campingplatz hat ja durchaus Vorteile. Einer davon: eine heiße Dusche. Ute genießt eine solche heute Morgen. Bis wir startklar sind ist es dann fast Mittag. Passend zur Ebbe. Idealer Zeitpunkt um auf die kleine Insel vor Port Eynon zu laufen, die nur bei Ebbe erreichbar ist und den Geocache da finden. Das sollten wir noch schnell vor dem Mittag schaffen.
Da wir ja nur kurz auf die Insel rüber wollen nehmen wir nichts mit. Dauert ja nicht lange.

Der Weg zur Insel führt durch eine zerklüftete Mondlandschaft. Von hinten ertönt das Kommando: „Hand“. Ute verlangt nach externer Stabilisierung. Zu groß ist die Angst umzuknicken. Außerdem drohen wir ja hier von der Flut abgeschnitten zu werden und zu ertrinken.
Erinnerungen an eine ähnliche Insel vor Irland werden wach. Da sah der Rückweg sehr plötzlich sehr anders aus.
Wann immer man sich in solche Situationen begibt, ist man gut beraten einen Plan B zu haben oder das ungute Bauchgefühl mit Fakten in Schach zu halten. Die Tidentabelle gibt uns noch mindestens 2.5h Zeit, kein Problem.

Gegen die Unsicherheit auf sehr unebenem Terrain hilft einfach drauf zu laufen. Das ist erstmal sehr unangenehm und wird von Ute entsprechend kommentiert. Mein liebster Rohrspatz kommt mal wieder zum Vorschein. Es ist wunderschön zu beobachten wie das seltener und weniger intensiv wird. Wieder einmal ist die Wachstumszone live zu beobachten. Die Schimpftiraden werden weniger und die schönen Momente werden mehr. Der Wechsel von Kommentaren wie „Du bringst uns um“ über „Du könntest ruhig etwas langweiliger sein“ zu „Sowas erlebt man eben nur wenn man solche Sachen macht“ überrascht mich hinterrücks. Völlig irre wie schnell das inzwischen fließend umschaltet.

Wo es gerade so gut läuft können wir natürlich nicht direkt zurück zum Bus gehen. Um die Ecke wartet Culver‘s Hole. Google veranschlagt eine Minute. Dass Google beim Abschätzen von Zeiten auf solchem Terrain nicht besonders zuverlässig ist, kann man sich denken. Muss ich nicht extra erwähnen, oder?
Wir klettern weiter über stärker zerklüftetes scharfkantiges, dafür aber sehr griffiges Gestein an der Küste entlang. Links das Meer, rechts schroffe, steil aufragende Klippen. Zunächst relativ eben, dann wechseln wir fließend auf leichte Kletterei.

Um die erste Ecke blicken wir in eine Höhle, sieht interessant aus, ist aber noch nicht das Culver Hole.

Wir klettern da mal rein. Ich warte auf des Kommando „Hand“ höre aber nichts, Ute klettert das einfach alleine. Das hatte ich so schnell nicht erwartet.

Von „wir sterben gleich“ bis „was für eine schönes Plätzchen“ in 3 Minuten.

Und wir haben natürlich mal wieder keine Vesper dabei. Wir erinnern uns: Nur mal eben kurz den Cache auf der Insel holen…
Die Tauben fliegen schon Patrouille um zu sehen ob wir ihr Domizil endlich wieder freigegeben haben, wir wollen sie nicht zu lange warten lassen. Auf „Die Vögel 2.0“ sind wir nicht scharf.
Es wird also weitergeklettert. Natürlich auf einem anderen Weg raus. Der selbe Weg wäre ja langweilig – ich ernte kein Verständnis. Erst als die Abwärtskletterstelle problemlos bewältigt ist, stellt sich die Erkenntnis ein, dass man das jetzt beherrscht. Ich meine ein stolzes Grinsen durch‘s Gesicht huschen zu sehen.

Entsprechend wird das „Ich kann das nicht Stimmchen“ zusehends leiser. Es ist skurril zu beobachten wie diesem Stimmchen Ausdruck verliehen wird, während man genau das tut, was es meint nicht zu können. Und es ist unglaublich live zu erleben wie dieses Stimmchen verstummt und den Platz freigibt für die Wahrnehmung der schönen Orte an die man so kommt, und die man ohne diese Mühe nicht erreicht hätte.

Dieses Outdoor Aquarium war es, dass die Erkenntnis brachte, dass es sich lohnt so etwas zu machen.

Unser Weg verlässt nun die Klippen und die überspülte Zone, wir sind wieder sicher vor der Flut.

Hinter der nächsten Ecke taucht unser Ziel auf: Culver Hole. Hinunter kommt man über ein Felsband, auf dem Fels wimmelt es von Insekten. Mehr als ein „Musstest Du das jetzt erwähnen“ ist das nicht mehr wert. Kletterer wissen dass im Zweifelsfall der Griff wichtiger ist als irgendwelche Viecher, und dass das auch der Kopf weiß und entsprechend solche Irritationen bei Bedarf einfach ausblendet.

Culver Hole ist eine zugemauerte Höhle direkt an der Küste auf Meereshöhe. Die Story dazu ist einigermaßen nebulös, und reicht von Schmugglerversteck bis Taubenschlag.

Unten durch den Wasserablauf kann man man reinkriechen. Aktuell stimmt Taubenschlag am ehesten. Die Viecher haben hier überall Nester.

Für heute ist hier das Ende der Wachstumszone erreicht. Ute reicht der Blick von außen.

Und wissen wann Schluss ist, ist die wichtigste Disziplin bei Reisen außerhalb der Komfortzone. Wir haben heute viel erreicht. Und das noch vor dem Mittagessen und mit nur zwei Tassen Tee als Frühstück.
Der Hunger meldet sich mit Macht, wir machen uns auf den Rückweg.

Auf dem Klippenkamm pfeift der Wind vom Meer herauf und erzeugt richtig Druck. Ich versuche es mal mit abheben.

Wingsuit fliegen erscheint mir gerade sehr reizvoll. So leer dass ich abhebe ist der Magen allerdings nicht.
Nur noch durch den Farn und dann ist der Bus und das Mittagessen nicht mehr weit.

Der Bus muss allerdings warten, wir laufen dran vorbei und direkt in den nächsten Pub. Frisch gezapftes Bier, Schmuggler Curry und Signature Cod, das haben wir uns verdient.

Am Bus gibt‘s Scones und die walisische Variante: Welsh Cookies mit Marmelade. Satt und zufrieden gibt‘s erstmal eine lange Mittagspause.