Hardangervidda, Tag 2 – Abstieg
Erleichterung setzt ein, es geschafft zu haben. Wir haben es wirklich und beide bis hier oben geschafft. Weder Hitze, Distanz, Gelände noch Möpse konnten uns aufhalten.
Aber da war ja noch was. Der Zündfunke für diese Tour, eine Dose die vor 20 Jahren an meinem 26. Geburtstag ausgelegt wurde, um Abenteurer herauszufordern, sie zu suchen und zu finden. 75 Meter vom Gipfel entfernt, und doch die Krönung dieser Reise. Eine unscheinbare Plastikkiste in einer Felsspalte.
Ute überlässt mir die Suche, um sich von dem mentalen Kraftakt des Aufstiegs zu erholen.
Ich klettere ab durch ein Tal auf dem Gipfel zum Nebengipfel und suche alle Felsspalten ab. Es ist wie so oft nicht das erste Versteck, in dem die Dose sich schließlich zeigt.

Zurück auf dem Hauptgipfel stelle ich fest, dass Ute irgendwie nicht so entspannt und gelöst ist wie ich. Es wäre ihr recht „Diese Sache“ hinter sich zu bringen.
„Diese Sache“ ist der Abstieg, der ihr Sorgen bereitet. Ich erinnere mich, dass das beim Aufstieg ein Thema war. Das „ich komme hier nie wieder runter“ hatte ich unterwegs tatsächlich ein paar Mal gehört und ignoriert, runter kommt man immer😬.
Beim Klettern ist der Weg runter so gut wie immer schwieriger als der Aufstieg, das weiß natürlich auch Ute aus Erfahrung. Wenn möglich seilen Kletterer daher einfach ab. Das geht natürlich nur, wenn man Seil, Gurt und ein paar Geräte dabei hat.
Technisch stellt der Abstieg kein Problem für Ute dar. Wenn jeder Schritt auf dem Boden stattfände, würde Sie da überhaupt nicht drüber nachdenken. 300m Höhe über dem Boden und eine steile Blockhalde unterhalb machen allerdings überdeutlich, dass kein Raum für Fehltritte bleibt.
Klettern im 2. Grad kann jeder, die eigentliche Schwierigkeit liegt darin sich zu vertrauen und das unabhängig von der Umgebung zu tun. Reine Kopfsache. Einfach wenn man es kann, extrem schwierig wenn nicht.
Es gibt viele Möglichkeiten sich zu ermächtigen mentale Grenzen zu überschreiten. Beim Aufstieg war es wohl die plötzliche Konfrontation mit der Konsequenz nach all der Anstrengung kurz vor dem Ziel aufzugeben und zu warten die den Willen das Ziel zu erreichen verdeutlichte. Und wo ein Wille ist, da ergibt sich auch der Weg.
Für den Abstieg fällt die Rettung des Mopses als Motivation leider aus und es bleibt nur das Fehlen einer Alternative. Oben bleiben ist schlicht keine Option. Entsprechend schwer lastet der bevorstehende Abstieg auf Ute.
Zum Abschied halte ich noch das Panorama fest, und versuche zu erahnen, wo wir gestartet sind. Die Weite der Landschaft ist atemberaubend, zu wissen, dass man irgendwo vom Rand des Parks losgelaufen ist, um nun hier oben zu stehen, ist unwirklich. Es wird Zeit brauchen, bis das begriffen ist.


Der „Walk in the Park“ auf dem Gipfel führt uns schnell zum interessanten Part. Ute kann kaum glauben dass sie das eben so problemlos raufgelaufen ist. Von oben sieht es unmöglich aus.

Wenn man weiß wo der Haken an der Sache ist, kann man etwas dagegen tun. Ich positioniere mich so, dass ich Konsequenzen von Fehltritten auffangen kann, und Ute klettert problemlos ab. Mit jedem Schritt weicht die Anspannung und als klar ist, dass wir den schlimmsten Teil hinter uns haben, fällt die Last sichtbar von Ute ab.

Als wir am Fuß der Blockhalde stehen, sehe ich was ich die ganze Zeit oben vermisst habe. Die Freude, es geschafft zu haben, strahlt auch aus Ute. Zeit für das echte Gipfelfoto.

Mit den großen Sorgen aus dem Weg, treten die kleinen Sorgen aus dem Schatten. Ist unser Zelt noch da? Und wartet der Dicke auf dem Parkplatz noch auf uns?
Bevor wir die erste Frage beantworten können, liegen noch knapp 2h Wanderung vor uns.
Es ist ein weit verbreiteter Irrtum dass es langweilig ist, den selben Weg zurück zu laufen, den man gekommen ist. Ganz im Gegenteil sieht man aus der nun gedrehten Perspektive Details, die einem vorher entgangen sind.
Die weißen Flecken sind mächtige Blöcke aus gepresstem und vereisten Schnee. Aus der Nähe betrachtet irre Strukturen.


Bald beginnt der Berg wieder sein Versteckspiel und wir treffen 3 Wanderer die von Hadlaskard aus und ohne Gepäck auf den Berg wollen.

Die wenigen die wir nun treffen sind erfreut auf Menschen zu treffen. Wir tauschen Informationen über den Zustand des Bergs und des Wegs hinauf gegen Geschichten über die Gegend aus. Sowas passiert einem an der Trolltunga wohl eher nicht.
Das Zelt ist noch da und vollständig getrocknet. Wir haben beide Hunger, ein Knoppers wird jetzt nicht reichen. Die zweite Abendmahlzeit wird vorgezogen, es gibt Jägertopf.

Zelt abbauen und Rucksäcke packen, ab jetzt sind wir wieder voll beladen unterwegs. Es fühlt sich toll an, wieder komplett zu sein und nichts zurückgelassen zu haben.
Um 17 Uhr überqueren wir wieder die wackelige letzte und nun erste Brücke auf dem Weg zurück in die Zivilisation.
In der Selbstversorgerhütte füllen wir die Vorräte auf. Bezahlen funktioniert auf Vertrauensbasis. Preisliste liegt aus, Geld kommt in einen Umschlag und dann in den Tresor. Man könnte auch per App bezahlen, das ist zwar sehr modern, erscheint uns aber nicht zu Ende gedacht. Internet gibt’s hier nämlich nicht.
Für 200 Kronen (ca, 20€) erstehen wir 2 Dosen Pfirsiche, 4 Portionen Kakaopulver, 2 x Milchpulver, 4 x Knäckebrot und eine Packung Kekse.
Wir treffen noch ein Paar, das hier sein Zelt aufschlagen will. Vor 40 Jahren waren sie auf dem Hårteigen, vielleicht versuchen sie es morgen nocheinmal. Wir erfahren dass der Berg ein Teil von Grönland war und entstand, als Grönland und Norwegen vor Urzeiten kollidierten. Der Berg blieb, Grönland driftete wieder ab.
Auch eine Frage, die mich schon länger umtreibt können die zwei beantworten. Welche der Beeren hier sind eigentlich essbar? Einfache Antwort: Alle, aber nur die Heidelbeeren schmecken.

Das probiere ich gleich aus. Die Roten finde ich gar nicht mal so übel. 1:3 mit Heidelbeeren geben sie noch etwas mehr Pfiff. Ute findet sie zu bitter. Die Schwarzen gehen auch, sind aber eher uninteressant.
Ich dachte mit Stalldrang, dem kühlen Bier im Bus und hauptsächlich bergab hätten eine Chance, muss aber nun einsehen, dass wir es heute wirklich nicht mehr bis zum Bus schaffen. Dennoch müssen wir jeden Schritt den wir heute noch machen, morgen nicht mehr machen. Das motiviert!
Zwischendurch essen wir immer mal wieder eine Handvoll Blaubeeren. Das Wissen dass man keine falschen erwischen kann lässt uns entspannt und oft zugreifen.
Wir treffen einen Norweger, der auch schon länger unterwegs ist und uns zutextet. Der Mann hatte wohl einfach nur Redebedarf. Das ist eine Weile interessant, aber zu einseitig und wir sind froh als wir uns loseisen können. Wie gesagt, jeder Schritt heute zählt.
Als nächstes treffen wir ein Schneehuhn. Die Viecher sehen mit dem großen weißen Ring ums Auge und den weißen Federhosen lustig aus, scheinen aber eher einfach gestrickt zu sein. Es flüchtet vor uns genau auf unserem Weg. Immer und immer wieder, bis es endlich entnervt aufgibt und wegflattert.

Kurz darauf geben auch wir auf. Ich hätte gerne an der tollen Badestelle bei Hedlo gezeltet und noch ein Bad genommen, aber 18,5km zusammen mit den Höhenmetern sind genug für heute. Der nächste geschützte und ebene Platz ist unser Nachtlager.

Da wir schon warm gegessen haben, bleibt das Abendessen spartanisch. Heisse Schokolade mit Milchpulver verfeinert, das leider klumpt. Dazu ein Knäckebrot und Pfirsichhälften aus der Dose. Uns kommt es königlich vor. Besonders die heisse Schokolade tut gut nach 2 Tagen Wasser aus dem Filter.
Wir sind diesmal nicht völlig erledigt und setzen uns noch eine Weile auf einen Felsen und schauen in die Ebene. Ein bisschen klettern geht sogar noch.

Bis zum Sonnenuntergang halten wir allerdings nicht durch, als es soweit ist, halte ich nur noch schnell das Phone aus dem Zelt.

Dann ist Feierabend und wir versuchen zu schlafen.
HINTERLASSE EINEN KOMMENTAR