Hardangervidda, Tag 2 – Gipfelsturm
Da wir den selben Weg zurück gehen werden, haben wir die brillante Idee dass es gar keinen Sinn macht das ganze Gepäck auf den Berg zu schleppen. Wir packen alles Nötige für den Tag in den kleinen Rucksack und lassen das Zelt mit Schlafsäcken, Isomatte, Kocher und großem Rucksack einfach stehen. So sparen wir Kraft für die Etappe und das nasse Zeug kann in der Sonne trocknen. Dass Risiko dass uns hier irgendwer beklaut und das Zeug wegschleppt halten wir für sehr gering bis nicht existent.

Hinter der nächsten Kuppe kommt wieder unser Ziel in Sicht. Immer noch weit weg, aber dank Licht von Vorne sind jetzt Strukturen erkennbar und es erscheint viel erreichbarer als zuvor.

Wir sind erstaunt, wie fit wir nach der gefühlt nicht sehr erholsamen Nacht sind und kommen gut voran. Je näher wir kommen, desto größer und greifbarer wird der Berg.


Mit dem Ziel vor Augen beschleunigt sich mein Schritt und wir geraten etwas auseinander. Es ist zwar ein deutlich frischerer und vor allem kühlerer Wind, aber ich laufe schon wieder Gefahr zu überhitzen. Die Sonne brennt und Ute muss mich einbremsen.
Der Weg führt erstmal noch durch eine Senke bevor wir uns dem Berg nähern. Hier gibt es noch Schneereste, aber von Schneefeldern die zu überqueren wären, wie man aus vergangenen Jahren lesen konnte ist weit und breit keine Spur.

Der Aufstieg führt hinunter nach rechts und links an den beiden Eisblöcken vorbei durch die Schlucht herauf, dann links an den Fuss des hutförmigen Hårteigen.
Sah es bisher noch sehr harmonisch aus, zeigt sich in der Schlucht eine wuchtige Schuttrampe die zu erklimmen ist, der Berg versteckt sich erstmal wieder und ist nicht mehr zu sehen.

Dass sich der Berg immer wieder versteckt, um dann unvermittelt und wuchtiger wieder aufzutauchen, macht diese Tour zu einem besonderen Erlebnis. Die zurückgelegten Kilometer werden zu komprimierten Erfolgserlebnissen gebündelt präsentiert. Man läuft lange, aber bekommt dann eindrücklich eine Rückmeldung über das Geleistete.

So nah waren wir dem Klotz noch nicht, wir machen ein stolzes Selfie. Doch nach der Rampe folgt gleich die nächste.

Das Gelände wird deutlich alpiner und der Hårteigen versteckt sich wieder. Ute schwant, das es gleich an‘s Eingemachte gehen wird. Der Weg war bisher schon stellenweise kein einfaches Gelände, aber jetzt wird es langsam zu einer Kletterpartie. Und das ist noch lange nicht der Hut selbst, an dem wir gerade kraxeln.
Am Ende der Rampe sehen wir die Hutkrempe. Eine gigantische Blockhalde.

Bevor wir uns dem eigentlichen Aufstieg widmen, werfen wir noch einen Blick zurück. Was wir bisher geschafft haben, ist eindrücklich! Was vor uns liegt aus der Nähe betrachtet auch, sehr sogar.

Wenn man zurückblickt auf das Geleistete, dann gibt das auch Vertrauen, das vor einem Liegende zu meistern. In diesem Fall eine Blockhalde, die in einer Schlucht im Berg nach oben in eine Schutthalde übergeht.

Ute zweifelt noch, dass das der Weg ist, und will erstmal weiter hinten schauen, ob da nicht eine freundlichere Aussicht wartet. Die Steinmännchen, als Wegmarkierung, sind allerdings eindeutig und der GPS Track geht auch da rauf. Verleugnung zwecklos.
Wir sind grad die ersten 20 Meter auf riesigen Blöcken balancierend aufgestiegen, da hören wir einen Schrei wie von einem Greifvogel. Wir blicken uns um und suchen den Hinmel ab. Irgendwas muss doch da kreisen.
Wir sehen nichts, die Rufe kehren aber immer wieder. Da will uns doch einer von seinem Nest fernhalten, uns ablenken, denken wir, sehen aber nichts. Ute meint am Weg unten etwas erkannt zu haben. Ein Pfeifhase vielleicht? Im Fernglas entpuppt sich das Tier als Mops. Ute vermutet ein armes, verlorenes Tier, das uns um Hilfe ruft. Fast steigt sie wieder ab, um ihm zu helfen und es mitzunehmen. Die Laute sind für einen Hund wirklich ungewöhnlich, aber erstmal müssen wir jetzt auf den Berg. Das Tier können wir nachher retten.
Der Gedanke daran beflügelt Ute auf dem Weg nach oben. Sie weist den Mops an Sitz zu machen und auf uns zu warten, „wir kommen gleich zurück und retten Dich!“

Die Kletterei wird ernsthafter, wir verlassen Ute‘s Komfortzone, aber der Mops muss gerettet werden und dazu müssen wir heile rauf, und wieder runter kommen.
Als eine per Seil gesicherte Kletterstelle des Grades II ansteht, kommt uns das Herrchen der Mopsdame entgegen. Die Kleine ist 1 Jahr alt, und noch nicht gewohnt, so lang auf Herrchen zu warten. Der Norweger wandert seit einer Woche durch die Hardangervidda und musste mal auf den Berg, weil da Mobilfunkempfang ist und er daheim Bescheid geben wollte, dass er noch lebt und wohlauf ist. Der Mops fängt noch nach etwa 1h an Geräusche zu machen. Das hat sie eindrücklich bewiesen. Solche Geräusche haben wir von einem Hund noch nicht gehört.
Nachdem das Wohlergehen des Hundes geklärt ist, erfahren wir noch, dass dieser Kletterpart der schlimmste Teil ist, der Rest sei „a walk in the park“. Vor dem Spaziergang im Park steht für uns jetzt erstmal die Kletterei an. Der Norweger ist nach unten entschwunden und Ute sieht sich von schrägen Felsen abrutschen und in die Tiefe stürzen. Das labbrig durchhängende Seil erscheint nicht hilfreich.
Den Vorschlag, dass sie hier wartet und ich den Gipfel schnell erledige, kontere ich mit „Aber dann setz dich wenigstens da unten in die Sonne zum Warten“.
Das war ganz eindeutig nicht die erwartete Reaktion, aber die richtige. Ehe ich mich versehe ist die zuvor abschreckende Passage überwunden und an sämtlichen folgenden Stellen, an denen ich Probleme erwartet hatte, marschiert Ute problemlos vorbei. Ich staune mal wieder Bauklötze, wie schnell sie das Kopfkino im Griff hat. Dass sie das technisch klettern kann, war mir klar, sie klettert am Seil im 5. Grad, aber hier oben und ungesichert ist das natürlich eine andere Hausnummer.
Auf dem Gipfelplateau erwartet uns nochmal eine Menge Schutt, und bis der Gipfelturm in Sicht kommt, gibt es noch ein bisschen was zu klettern. Immer entlang der Steinmännchen zeigt sich auch der Gipfel erst ganz zum Schluss. Der Hårteigen bleibt sich treu.

Um 11:18 entsteht das Gipfelfoto, wir sind am Ziel unseres ersten 1 1/2 Tages-Marsches mit Gipfelsturm als Finale. Die Aussicht über den rundum liegenden Nationalpark inclusive zweier Gletscher ist phantastisch.
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