Hardangervidda, Tag 1
Um 7 klingelt der Wecker, um 8 sind wir startklar und nehmen ein steiles Bergsträsschen in Angriff. Über endlose Serpentinen geht es aufwärts. Der Asphalt endet schnell und weiter geht es auf einer Schotterpiste. Immer wieder haben sich wellenartige Querrillen gebildet die die Räder tanzen lassen. Ute’s Nerven werden auf die Probe gestellt, Beifahrer sein auf solchen Strecken ist kein Spaß. Oben am Parkplatz steht direkt ein Kona mit Dachzelt aus Karlsruhe. Wir tauschen uns über die Wetterbedingungen und das Ladenetz in Norwegen und Deutschland aus, und erfahren zu unserem Erstaunen dass Deutschland da inzwischen weiter sei als Norwegen.

Wir parken den Bulli am Rande des Nationalparks Hardangervidda und kleiden uns in Erwartung ähnlicher Bedingungen wie 2016 auf dem Kjerag ein. Lange Hose, Langarm-Merino Shirt, Regenjacke und Daunenjacke im Rucksack. Es ist zwar grad recht warm aber das wird ja sicher nicht so bleiben. So schultern wir die Rücksäcke, schließen den Bus ab und machen uns um kurz nach 9 auf den Weg.
Ute merkt sehr schnell dass die Jacke zu viel ist und zieht diese aus. Das beliebte „Jacke an, Jacke aus“ Spielchen beginnt heute sehr früh und ist auch direkt zu Ende gespielt. Auf die Idee die Jacke nochmal wieder anzuziehen kommt heute niemand mehr.
Nach 500m wird klar dass das Mobilfunknetz eher nicht zur Verfügung stehen wird, wir schalten die Handys in den Flugmodus. Eine Powerbank ist zwar dabei, aber Strom sparen ist bestimmt trotzdem eine gute Idee. Da die große Kamera am Bus geblieben ist, müssen die Handys zum Einfangen der Landschaft und schönen Momente herhalten. Davon bieten sich direkt einige an.

Die Tour startet mit einem leichten Anstieg in einen Birkenwald, der sich schon leicht herbstlich verfärbt. Der Weg ist perfekt erkennbar und mit dem bekannten roten T markiert. Auch unser Ziel der Hårteigen (grauer Wegweiser) ist schon ausgeschildert.

Bis zum Gipfel sind es 27.2km Strecke, 1130 Höhenmeter rauf und 340 Höhenmeter runter. Der Plan ist heute soweit wie möglich vor den Berg zu laufen und dann morgen den Aufstieg und Rückweg zu machen. Runter sollte es ja schneller geben. So wurde es auch in dem Blog beschrieben.

Die erste Anhöhe ermöglicht einen Blick in Richtung des Valurfossen, diesen Wasserfall lassen wir heute mal rechts liegen, davon hatten wir 2016 genug auf unserer Tour.
Dieses Jahr ist für norwegische Verhältnisse extrem trocken und uns macht die unerwartete Hitze zu schaffen. Die Luft ist zwar relativ kühl, aber ohne Wind sind wir viel zu warm angezogen. Kurze Hose und ein kurzes Shirt wären angemessen gewesen, sind aber leider nicht dabei.

Dass es hier normalerweise deutlich feuchter zugeht erkennt man an den häufig ausgelegten Holzplanken, die heute komplett überflüssig sind. Auch die Flüsse sind erkennbar wasserarm.

Von Wasserarmut kann man dennoch nicht sprechen, immer wieder passieren wir Flüsse, die erfrischendes Nass bereitstellen, dass wir ausgiebig nutzen um uns abzukühlen. Bei jeder Gelegenheit halte ich den Kopf rein und mache die Kappe nass um die heißlaufende Birne per Verdunstungseffekt zu temperieren.

Wir haben einen Microfilterstrohhalm dabei, der jegliches Wasser trinkbar machen soll. Die Flüsse hier sollten alle auch so Trinkwasser führen, da hier aber Schafe weiden, ist es wohl besser auf Nummer Sicher zu gehen.

Der Weg ist oft mit Steinen übersät, was beim Gehen Aufmerksamkeit erfordert und das Tempo senkt.

Gegen Mittag erreichen wir mit Hedlo die erste Hütte. Ein Dieselgenerator erzeugt Strom und die Waschmaschine läuft. Die Wäsche hängt zum Trocken über den Büschen.

Ute geht mal rein und wird herzlich begrüßt. Drinnen ist es urgemütlich, aber man ist gerade mit Aufräumen beschäftigt und die Hütte ist für Besucher geschlossen. Im nächsten Jahr sind wir herzlich willkommen. Wir gehen noch etwas weiter und machen dann eine kurze Knopperspause.

Hier ist eine tolle Badestelle die auch von einigen Nackedeis genutzt wird. Unterwegs begegneten wir bisher noch niemandem, aber ab und an sieht man doch mal Menschen. Ich nehme mir vor hier auf dem Rückweg ins Wasser zu gehen, aber jetzt wollen wir erstmal weiter, es liegt noch ein weiter Weg vor uns.





Kurz vor 2 Uhr kommt unser Ziel das erste Mal in Sicht. Der Tafelberg sticht prominent aus der Landschaft heraus und ist ein logisches Ziel. Allerdings ist er verdammt weit weg.

Bis da hin sollen wir laufen und dann auch noch wieder zurück? Dass das für uns in zwei Tagen machbar ist, bezweifeln wir. Hin wollen wir allerdings auf jeden Fall. Wir freunden uns über die nächsten Kilometer mit dem Gedanken an, dass das auch eine 3-Tages-Tour werden könnte.
Am nächsten Bach kühlen wir erstmal den Kopf und dann auch die Füsse. Es tut echt gut aus den heißen Wanderstiefeln rauszukommen und den meistbeanspruchten Körperteil in das kühle Nass zu tauchen.

Bei mir ist es mit Fusskühlung nicht getan, die ganze untere Hälfte bedarf der Temperierung (wobei das im Badischen ja auch noch zum Fuss gezählt wird). Da wir schon seit Stunden niemandem mehr begegnet sind, ist das völlig ungeniert möglich.

So erfrischt kann es weitergehen und die Rucksäcke tragen sich gleich viel leichter.

Um 15 Uhr erreichen wir mit Hadlaskard die zweite Hütte auf unserer Strecke. Komoot hatte uns zwar eine um 3km kürzere Route angeboten, aber die Sicherheit eines bekannt gangbaren Weges und einer Hütte unterwegs waren uns diese Extrakilometer wert.

Im Unterschied zu Hedlo ist Hadlaskard eine Selbstversorgerhütte. Als wir ankommen ist niemand da, die Tür ist offen. Wir treten ein und finden eine super aufgeräumte und gemütliche Hütte vor. Wir schauen in die Zimmer aber tatsächlich ist keines belegt. Das ist schon ein etwas merkwürdiges Gefühl, ein bisschen wie bei den sieben Zwergen.

Wir studieren die Vorräte und suchen alles nach einem kühlen Bier ab. Das Angebot besteht allerdings ausschließlich aus trockenen Lebensmitteln und ein paar Konserven. Ein kühles Bier oder eine Cola wären jetzt genau richtig gewesen. Davon fantasieren wir schon die letzten Stunden immer wieder. Auch im kühlen Keller findet sich ein solches leider nicht, aber es ist gut zu wissen, dass wir uns hier versorgen könnten, sollten wir wie inzwischen ziemlich sicher vermutet, einen dritten Tag für unsere Tour benötigen.
Wir ruhen noch etwas auf der Veranda im Schatten aus und ich denke mir, dass hier und jetzt ein perfekter Zeitpunkt für das Ende der Etappe wäre. Auch die Betten schauen sehr einladend aus, man könnte den Nachmittag auf der Veranda genießen, vielleicht noch ein paar Blaubeeren sammeln und in der ausgezeichnet ausgestatteten Küche einen frischen Blaubeerpfannkuchen zum Abend brutzeln.
17km sind wir in den letzten 6 Stunden gelaufen und bis zum Gipfel sind es nochmal 10km mit dem Löwenanteil der Höhenmeter am Schluss. Es hilft nicht, wir müssen heute noch ein paar Kilometer schaffen. Inzwischen ist es vier Uhr geworden und wir überqueren die letzte Brücke auf unserer Tour. Ab hier ist Waten angesagt wenn ein Fluss oder Bach zu queren ist.

Schon der Zugang der Brücke ist nicht nach Ute‘s Geschmack. Die Stahlseile sind auf halber Strecke zu weit oben und die Handseile sehr labbrig. Die Planke federt deutlich und ob die Nägel halten ist nicht ganz klar ersichtlich.

Die Konstruktion schwankt in alle Richtungen und trägt laut Beschriftung maximal eine Person. Da muss man also alleine drüber. Auf halber Strecke wird mir unterstellt ich würde an der Brücke wackeln, aber das macht Ute schon selbst. Als ich an der Reihe bin wackelt es noch deutlich mehr und ganz kurz fürchte ich einen Überschlag was mich direkt veranlasst nicht ganz so forsch weiterzugehen.

In der nächsten Stunde schaffen wir 3km; bis 19 Uhr weitergehen wäre gut, denke ich, dann wären es bei gleichem Tempo noch 4km bis zum Gipfel. Ute handelt mich auf 5km herunter, aber 5.6km vor dem Gipfel reicht es uns beiden. Ich habe deutliche Überhitzung und Ute‘s Beine „wollen nicht mehr“. Wir suchen nach einem geeigneten Platz für unser Zelt und die Nacht.
Schon 100 Meter weiter finden wir ein tolles Plätzchen direkt am Weg. Hinter einem Busch sind wir vom inzwischen wahrnehmbaren Wind geschützt, der Platz ist eben, der Untergrund weich und für Heringe geeignet.

Wir bauen das Zelt auf und Ute bereitet unser „Nest“ für die Nacht. Als das erledigt ist, darf ich endlich den Kocher anwerfen. 800ml Wasser werden zum Kochen gebracht und in die Tüte mit dem Trockenfutter gekippt.

Umrühren und 10 Minuten ziehen lassen, dann sind die Spaghetti Bolognese fertig.

Heiss, lecker und sehr nötig. Es ist zwar erst Sieben, aber wir sind beide fertig mit dem Tag. Wir legen uns ins Zelt, Reißverschluss zu, Scheiss auf romantischen Sonnenuntergang in der Natur und Einsamkeit genießen. Wir dösen beide direkt ein.
Eine gute Stunde später wachen wir nochmal auf und knabbern einen Riegel zum Dessert. Der motiviert uns allerdings auch nicht mehr nochmal vor‘s Zelt zu gehen, und wir schlafen gleich wieder ein.
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